Edelgard Stryzewski-Dullien

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Fundstücke

Fundstücke begegnen mir und allen Menschen überall.

Sie finden uns.

Sie treten in Kommunikation mit uns. Die Begegnungen können laut und heftig sein, aber auch leise und einen langen Zeitraum beanspruchen. Manche Fundstücke zeigen beim ersten Blickwechsel ihre Struktur, ihre inneren Bilder oder ihre künstlerische Verwertbarkeit, andere liegen oder hängen jahrelang bei mir herum, bevor deutlich wird, in welchem Zusammenhang sie eingebunden werden wollen. Oft sind sie Anregung, Ausgangspunkt und Wegbeginn für Bilder, Objekte, Installationen und Aktionen.

Herzblut

Mitten in einer überbordenden Natur in der Tschechei begegneten mir zwei Baumriesen, die ein Wegkreuz bewachten.

Beide Bäume zeigten der wegzugewandten Seite jeweils eine tiefe, vernarbte Wunde, umrahmt von dicken Rindenwülsten. Die Wunden waren herzförmig verheilt, fast identisch. Allerdings zeigte die Spitze der einen Narbe nach oben, die andere verjüngte sich nach unten.

Ich legte die Vertiefungen der Wunden mit Baumwachs aus und bedeckte sie mit Gipsbinden. Ich verband beide Wunden mit gedrehten, rot gefärbten Papiersträngen . Sie verbanden die eine Verletzung mit der anderen wie ein Schlauch bei einer Blutübertragung. Sie führten durch ein geöffnetes Pappherz, das sein Inneres zeigte: Vogelbeeren und rote Steinäpfel, die nebenan wuchsen.

Zu dem Zeitpunkt wußte ich noch nicht, dass mein eigenes Herz sich gefährlich verengt hatte.

Seh-Zeichen

Am Strand des Atlantik in der Bretagne begegneten mit Reste eines Bootes. Selbst in den Teilstücken war die ursprüngliche Funktion zu erkennen, obwohl die äußere Form – bis auf ein Fundstück – nichts mehr mit einem Schiff zutun hatte.

Äußere Gestalt und die Oberflächenstrukturen riefen Erinnerungsbilder in mir hervor. Nichts mußte verändert oder erweitert werden. Die Teile benötigten nur einen anderen Platz, eine andere Präsentation. Ich stelle sie auf Metallstäbe , so dass sie frei im Raum standen. Sie erhielten dadurch Objektcharakter und agierten im Zusammenspiel mit der Umgebung und mit der Anordnung zu den anderen Fundstücken. Sein reagierten stark auf den Ort, an dem sie gezeigt wurde: im Innenraum holten sie ein Stück Meer herein, im Außenraum trat das Gemachte, von Menschenhand produzierte, in den Vordergrund und erzählt andere Geschichten als in Räumen.

Ich nenne sie Seh-Zeichen und stelle sie gerne in unterschiedlichen Landschaften auf.

Weiße Königin - Rote Königin

Beide Königinnen begegneten mir im Herbst auf einem Feld.

Vieles war schon abgeblüht. Selbst die riesigen Pflanzen der Herkulesstaude hatten ihre Blätter und den größten Teil ihrer Gefährlichkeit verloren. Die beiden Figuren, die mir sofort verrieten, was aus ihnen gestaltet werden sollte, standen auf einem Hügel auf einer kleinen Lichtung. Die Lichtung war umgeben von einem Kranz von Gräsern und Fruchtständen, die sich im Wind vor der großen Figur verneigten.

Die beiden Riesenpflanzen bildeten zwischen sich einen Freiraum, der sehr körperlich wirkte. Ich »zog« diesen Raum mit Papierkleidern an, um die Figur in die Dreidimensionalität zu holen. Es entstsanden eine weiße und eine rote Königin.

Bäume

Bäume gehören zu meiner Kindheit wie die Sonne oder der Mond. Bäume als Schutz, Bäume als Versteck, Kletterbäume, Kirschbäume, Obstbäume am Straßenrand, Waldbäume oder Wohnbäume.

Sie sind für mich eigenwillig, eigenartig, einzigartig. Sie strahlen Individualität aus und Authentizität, jeder Baum hat seinen Charakter und wächst autark zwischen Himmel und Erde.

Die größte Anziehungskraft allerdings hat für mich die Ähnlichkeiten zu menschlichen Bewegungen und Körpern. Bäume strecken sich, ducken sich, breiten sich aus, drehen sich, winden sich, tanzen und toben und erinnern in Gestalt und Rinde an menschliche, meist weibliche Körper.

In meinem Arbeiten mit Bäumen spüre ich dieser Körperlichkeit nach, suche Möglichkeiten, sie zu visualisieren, sie zu „bezeichnen“, sie für andere sichtbar zu machen.